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Titel
Statthalterliche Verwaltung in der römischen Kaiserzeit. Studien zum praefectus Aegypti


Autor(en)
Jördens, Andrea
Reihe
Historia-Einzelschriften 175
Erschienen
Stuttgart 2009: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
VI, 616 S.
Preis
€ 86,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Pfeiffer, Historisches Institut, Universität Mannheim

Wohl kaum eine andere römische Provinz als Aegyptus bietet aufgrund der papyrologischen Überlieferung eine reichhaltigere Fülle an Quellen, die uns ausführlich über die Praxis der Verwaltung informieren. Die Papyrologin Andrea Jördens legt mit ihrer 2002 in Marburg angenommenen und jetzt in gedruckter Form erschienenen Habilitationsschrift zum praefectus Alexandreae et Aegypti das maßgebliche Werk nicht nur zu diesem Statthalter, sondern auch zu verschiedenen Arbeitsfelder der römischen Administration auf allen Ebenen der Verwaltungshierarchie vor.

Gegliedert ist die Monographie nach einer knapp 60-seitigen Einführung in zwei Hauptteile, wobei das Schwergewicht auf dem ersten Teil zu den steuer- und finanzpolitischen Aufgabengebieten und Problemen (S. 59-396) liegt und der zweite Teil (S. 397-511) Themen des ersten unter der besonderen Fragestellung nach wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen aufgreift. Lobenswert ist vor allem, dass jedes Unterkapitel mit einem Resumée endet und die wichtigsten Ergebnisse zudem noch jeweils in einer, das betreffende Hauptkapitel abschließenden Zusammenfassung umrissen werden. Fünf Überblickskarten ohne direkten Bezug zum Text schließen sich an, es folgen eine nützliche Liste der Präfekten, eine Zusammenstellung der Statthalter in Zensusdeklarationen und eine Liste der Statthalter in Abrochia-Deklarationen. Ein Quellenregister gefolgt von einem Sachregister runden das Werk ab.

Bereits in der Einführung formuliert Jördens ihre Leitthese: Sie möchte zeigen, dass Ägypten keine Sonderstellung im Imperium besaß, sondern eine „Provinz im vollen Rechtssinne“ war, und dass man am Handeln des Präfekten auch Einsicht in die Herrschaftsstrukturen des Imperium gewinnen kann (S. 13). Es geht also nicht nur darum, die Verwaltungspraxis des Präfekten vorzustellen, Jördens möchte gleichzeitig auch allgemeine Leitlinien römischer Administration, die sich allein in Ägypten aufgrund der papyrologischen Evidenz nachvollziehen lassen, für andere Provinzen übertragbar machen; Jördens ist sogar der Ansicht, dass Ägypten in manchen Dingen ein Modell für die kaiserzeitliche Reichsverwaltung bildete (S. 54). Es ist nun interessant, dass die These von der „Normalstellung“ Ägyptens im Imperium gerade nicht anhand einer Besprechung der üblichen Aufgabenbereiche eines Statthalters untermauert wird: Ganz im Gegenteil beschäftigt Jördens sich mit den Tätigkeiten, die in anderen Provinzen der statthalterlichen Befugnis ausgegliedert waren (S. 14). Ziel ist der Nachweis, dass diese Tätigkeiten nicht auf einem „besonderen Instrumentarium“ des Präfekten beruhten. Zu den außerordentlichen Themenkomplexen gehörte erstens die Finanzpolitik – in den anderen Provinzen waren hierfür die Quaestoren oder Finanzprokuratoren zuständig. Ein weiteres Sonderthema ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Ausgeklammert werden hingegen das Militär, das Rechtswesen, die Städte und die Tempel, also gerade die Themenbereiche, in denen man am ehesten auch einmal einen Vergleich zu anderen Provinzen aufstellen könnte.

Das Einleitungskapitel dient als Replik auf die Gründe der Forschung für eine Sonderstellung der Provinz Ägypten. Erstens führt man häufig die Tatsache an, dass die alten Amtsbezeichnungen beibehalten wurden. Hierzu konstatiert Jördens, dass es sehr wohl zu schwerwiegenden Änderungen im Verwaltungssystem gekommen sei, sowohl terminologisch als auch in der Kompetenz der Funktionsträger. Zweitens begründet sich die Sonderstellungsthese in der Tatsache, dass man nicht nach Konsulaten, sondern, wie schon immer, nach Regierungsjahren datierte, was Jördens aus der Unpraktikabilität der römischen Jahreszählung erklärt. Drittens sei schließlich festzustellen, dass es in Ägypten keine munizipalen Strukturen gab; diesbezüglich verweist Jördens auf die strukturellen Ähnlichkeiten der Gauhauptstädte zu Munizipien, „abgesehen davon haben die Römer durch die von Anfang an verfolgte Privilegierung der sozialen Eliten den Munizipalisierungsprozess in Ägypten sicher gefördert“ (S. 35). Die Tatsache, dass viertens Senatoren und equites inlustres der Zutritt zu Ägypten versagt war, erkläre sich daraus, dass die Reisebeschränkungen für Senatoren „ein verbreitetes Phänomen“ waren. Wenn fünftens angeführt wird, der Kaiser werde in Ägypten als Pharao repräsentiert, so ist dem entgegenzuhalten, dass die Abbildungen letztlich ihre Historizität eingebüßt hatten und nur noch einen „kultischen“ Pharao zeigten. Die zu guter letzt immer wieder betonte besondere Stellung des Statthalters – eine „unübersehbare Anomalie“ (S. 48) – begründete sich aus der Bedrohung, die ein Usurpator mit Hilfe Ägyptens darstellen konnte. Letztlich sei insgesamt festzustellen, dass die ägyptischen Besonderheiten keinen Einfluss auf den verfassungsrechtlichen Status der Provinz hatten.

Die acht der Einleitung folgenden Kapitel beschäftigen sich erstens mit dem Provinzialzensus, zweitens mit der Erfassung der Vermögensgrundlage, drittens den Sondersteuern, viertens Zwangsankäufen und Requisitionen, fünftens der Steuereintreibung, sechstens dem Phänomen der Flucht von Bauern aus ihren Dörfern (anachoresis), siebtens Steuerbefreiungen und achtens dem Zollwesen. Ein relativ durchgängiges Ergebnis dieser Kapitel ist die Erkenntnis, dass sich vieles in Ägypten nicht mit anderen Provinzen vergleichen lässt, weil aus diesen keine entsprechenden Quellen überliefert sind. Diejenigen Bereiche, in denen sich außerägyptische Parallelquellen finden lassen, zeigen, dass keine hundertprozentige Übereinstimmung zu finden ist. Das wiederum lag, so Jördens, an der Flexibilität, die die Römer im Umgang mit landestypischen Strukturen aufwiesen (vgl. S. 92-94). Die Römer griffen häufig auf einheimische Traditionen zurück. Es war das Herrschaftsprinzip, mit minimalsten Eingriffen größtmögliche Effizienz zu erzielen (S. 110). Dies steht freilich in einem gewissen Gegensatz zu der Aussage, dass die Römer maßgebliche Veränderungen im Verwaltungssystem vorgenommen hatten (S. 28). Diese lassen sich besonders seit dem 2. Jahrhundert feststellen, als mit den alten Strukturen nicht mehr wirksam auf aktuelle Probleme reagiert werden konnte.

Im zweiten großen Themenkomplex „Wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen“ beschäftigt sich Jördens mit der Bedeutung des Präfekten sowohl für das Bewässerungswesen als auch für die Landbebauung. Hier unterschied sich Ägypten am meisten von allen anderen Provinzen. Der Präfekt war für die landwirtschaftlichen Arbeiten zuständig, das Bewässerungswesen und auch humanitäre Maßnahmen waren hingegen „Chefsache“ des Kaisers. In einer abschließenden Zusammenfassung hält Jördens fest, dass es die wichtigste Aufgabe des Präfekten war, Ruhe und Ordnung in der Provinz zu garantieren. Eine Sonderstellung hatte Ägypten nur in Bezug auf die Strukturen der Verwaltung. Die Prinzipien aber, nach denen der Präfekt agierte, waren dieselben, die auch das Handeln der anderen Provinzgouverneure bestimmten: die Orientierung an einem „patronalen Gesellschaftsideal“ unter den Leitidealen aequitas und providentia. Dieser Schluss scheint vor allem deshalb logisch, weil die Präfekten Männer aus dem zweiten Stand der römischen Elite waren, die viele Ideale mit dem ersten Stand teilten und bei denen Ägypten zudem nur einen – freilich bedeutenden – Teil der Laufbahn darstellte. Damit ist aber trotzdem nicht letztgültig die Frage nach dem vermeintlichen oder tatsächlichen Sonderstatus der Provinz geklärt. Auf eine Lösung hat Jördens schon hingewiesen: Man muss sich jeden Bereich anschauen und jeweils fragen, was spezifisch ägyptisch-griechisch und was römisch ist, und leider lassen uns die Quellen in anderen Provinzen in vielen Fragen eben im Stich.

So bleibt festzuhalten, dass Jördens mit dieser Schrift ein Grundlagenwerk zur statthalterlichen Verwaltung Ägyptens vorgelegt hat, das in den besprochenen Bereichen gleichzeitig auch als Handbuch zur Tätigkeit der Administration im römischen Ägypten gelten kann. Auf diese Weise gehört die Arbeit in jede Bibliothek neben Wilckens Chrestomathie. Der Rezensent hofft, dass mit Hilfe dieser praktischen und quellenreichen Monographie sich nun auch breitere althistorische Kreise für die Verhältnisse in der Provinz Ägypten interessieren werden.

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